- indisches Kunsthandwerk: Stoffe, Batik und Kleinkunst
- indisches Kunsthandwerk: Stoffe, Batik und KleinkunstDie reiche Formenwelt des indischen Kunsthandwerks steht im Zusammenhang mit den Ausdrucksformen der übrigen Künste. Obwohl die Gestaltung, das Material, die Musterideen und anderes weitgehend von Auftraggebern abhängig sind, drückt sich doch ein spezifisches, national oder regional geprägtes Empfinden in Formung, Proportionen, Materialverfeinerung und besonders im Ideenreichtum der Muster und Ornamente aus. Dabei werden muslimische Einflüsse, die seit Jahrhunderten ins Land gebracht wurden (etwa in der Wahl der Technik und der Mustermotive), oder später auch europäische Anregungen aufgenommen und im eigenen Sinne verarbeitet. Die historischen kunsthandwerklichen Gegenstände, für religiöse oder weltliche, oft höfische Auftraggeber oder Stifter angefertigt, sind fast immer zweckgebunden. Deshalb wurden in der Vergangenheit auch nie die Künste vom Handwerk unterschieden. Der Handwerker ist in dem Maß ein Künstler, wie er zur Vollendung seiner Erzeugnisse selbst beitragen kann. Erst die Industrialisierung unter europäischem Einfluss, die billige maschinelle Herstellung von Gebrauchsgegenständen und Geräten als Massenware, das Souvenirgewerbe sowie der Einsatz neuer Materialien wie Kunststoffen trugen zum Verfall des Handwerks als einer Kunst auf höchster Stufe bei. Trotz der Wertschätzung indischer Erzeugnisse, die sich in großen Ausstellungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts manifestierte, ebenso in Exporten, vor allem von Textilien, nach Europa und durch das Sammeln in Völkerkunde- und Kunstgewerbemuseen, konnte der hohe Standard auf breiter Ebene nicht beibehalten werden.Die Faszination, die die indischen Handwerkskünste auf Europäer ausübten, zeigte sich in zahlreichen Sammelbüchern und Alben, in denen man - meist als Aquarelle - für ein europäisches Publikum die verschiedenen Tätigkeiten aufzeichnen ließ. Der einer bestimmten Kaste zugehörige Handwerker wird hier bei der Ausübung seiner Arbeit gezeigt. Man kann auf diesen Darstellungen erkennen, dass mit einfachsten technischen Mitteln Erstaunliches geleistet werden konnte. Auch die frühere Miniaturmalerei der Mogul-Zeit etwa Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts zeigt gelegentlich Handwerker bei ihren Arbeiten. Malerei, Plastik und Reliefkunst vergangener Zeiten sind generell eine anschauliche Dokumentation kunsthandwerklicher Erzeugnisse aller Art. Besonders die farbige und sehr fein ausgeführte Miniaturmalerei zeigt uns Kleidung, Stoffe, Teppiche und Gebrauchsgegenstände aus Metall, Holz, Jade, Glas und vor allem sehr viel fantasiereichen und kostbaren Schmuck.Infolge der Vergänglichkeit vieler Materialien oder ihrer Wiederverwendung - etwa Einschmelzen von Metallen - und Verarbeitung zu anderen Zwecken, als Folge kriegerischer Zerstörungen und Beutezüge gibt es heute nicht mehr viele Stücke, die aus sehr frühen Perioden überkommen wären. Die meisten erhaltenen Gegenstände stammen aus den letzten vier bis fünf Jahrhunderten. Jedoch ist bereits seit den frühesten Stadtkulturen des 2. Jahrtausends v. Chr., wie sie in Mohenjo Daro und Harappa bestanden, wahrzunehmen, dass die Schönheit der Gegenstände in Indien ein wesentliches Element der Lebensäußerung darstellte.Die Grundprinzipien vieler kunsthandwerklicher Gegenstände gleichen sich oft, auch wenn unterschiedliche Werkstoffe verwendet wurden. So ist die Verzierung von Gewebe durch Stickerei neben die Tauschierung von Metallen zu stellen, ebenso wie Steinintarsien oder Einlegearbeiten in Holz. Steinschneidearbeiten wie bei den Gittermustern der Fensteröffnungen sind ebenso als Marmorarbeiten oder Holzschnitzereien ausgeführt worden; sie dienten übrigens nicht nur der Verschönerung, sondern auch der Klimatisierung von Räumen. Sehr vielseitig wurden keramische Materialien eingesetzt. Man findet sie nicht nur als Baukeramik, wie etwa als Terrakotta-Gitter, und als Reliefschmuck mit und ohne Glasuren, als Fliesenverkleidungen und Fayence-Mosaiken, sondern auch als Gefäßkeramik mit verschiedensten Dekortechniken. Hier treffen sich altindische symbolische Vorstellungen mit islamischen und finden weite Anwendung und Verbreitung in vielen Kunstgattungen, ob im Pietra-dura-Werk (einer florentininischen Mosaiktechnik) der architektonischen Wandverkleidung, in der Metalltauschierung, in der Holz- und Elfenbeinschnitzerei oder in den textilen Ziertechniken und der Teppichknüpferei.Im Metallhandwerk waren neben den Gusstechniken der einfachen verlorenen Form und des Wachsausschmelzverfahrens zwischen Kern und Mantel, wie sie für Götterbilder, Kleinbronzen, Gefäße und Schmuck seit alten Zeiten in Gebrauch waren, auch verschiedene Tauschiertechniken und Treibarbeiten, das Gravieren und Punzen der Geräte und Gefäße sowie auch das Damaszieren der Waffen bekannt. Hinzu kommen das farbige Emaillieren und der Besatz mit Edelsteinen. Filigranarbeiten aus Edelmetall finden sich besonders bei kostbarem Schmuck. Weithin verbreitet waren auch die Bidri-Arbeiten, die nach der Stadt Bidar im Dekhan benannt sind, später aber auch in anderen Gegenden wie Oudh und Bengalen angefertigt wurden. Eine Zink-Kupfer-Legierung bildet das Grundmetall, das durch eine chemische Behandlung geschwärzt, mit Silber tauschiert und anschließend poliert wird. Die Kunstwerke, wie beispielsweise Kannen, Schalen, Wasserpfeifengefäße, zeigen glänzende Blumen- und Blütenmotive auf schwarzem Grund. Mehr oder weniger verziertes, meist poliertes Messing trifft man bei sehr vielen Gegenständen und Gefäßen an, wie großen und kleinen Wasserbehältern, Haushaltsgeräten und Hängelampen, Standleuchten und Figürchen als Lampenträgerinnen, und in großer Zahl bei Votivgegenständen und -figuren, die als Weihgeschenke an die Götter dienten.Für die Schnitzerei standen meist Hölzer zur Verfügung, die als Material leicht zu beschaffen und bis auf das widerstandsfähigere Teakholz auch relativ leicht zu bearbeiten waren. Holz wurde seit den ältesten Zeiten in der Architektur verwendet, deren Konstruktionen später auch in Stein umgesetzt wurden. Wände, Fenster, Konsolen und Erker wurden als plastische Elemente mit bemekenswertem Formenreichtum verziert und gestaltet. Die schönsten erhaltenen Beispiele stammen aus dem westlichen Indien. Aus Südindien sind unter anderem figurenreiche Schnitzereien mit für Prozessionswagen gearbeiteten Götterbildern überliefert. Gebrauchsgegenstände aus Holz waren allgemein verbreitet und wurden auch mit anderen Materialien verziert, wie etwa mit Einlegearbeiten aus Elfenbein, Bein, Schildpatt und Metalldraht. Aus duftendem Sandelholz sind kleinere, besonders fein gearbeitete Stücke wie Fächer und Behälter (Kästchen, Dosen) sowie Götterfigürchen.Zu den hoch geschätzten höfischen Luxusartikeln der Mogul-Zeit gehören die Jade- und Nephritarbeiten, beispielsweise Trinkschalen und Dolchgriffe - oft in Tierköpfen endend - oder Teller, Tabletts, Dosen, Schalen und Spiegel. Das gleiche gilt für Bergkristallarbeiten, die zunehmend mit anderen Materialien wie Metallen, Blattgold und Edelsteinen verarbeitet wurden. Elfenbein wurde bei figürlichen Darstellungen, abgesehen von Spielfiguren, nicht eingefärbt. Die als Jagdzubehör in der Mogul-Zeit des 17. Jahrhunderts hergestellten, oft als Pulverhörner bezeichneten Zündkrautflaschen von länglicher, leicht gebogener Form zeigen fantasievolle Tierkampfszenen und Tierdarstellungen.Die Herstellung von Lackarbeiten aus Papiermaschee gehörte zu den vor allem in Kaschmir, aber auch im Iran, beliebten Techniken des Kunsthandwerks. Da der Lackbaum in Indien nicht heimisch ist, wurden die mit feinster figürlicher Miniaturmalerei oder Blütenornamentik verzierten Gegenstände - meist Kästen unterschiedlichster Formgebung, Dosen, Tabletts, Schreibkästen oder Bucheinbände - mit glänzenden, durchsichtigen Lackschichten aus Firnis, Kopal-Lack und anderem versehen.Eine künstlerische Tradition allerhöchsten Ranges ist nicht zuletzt die indische Textilkunst mit ihrem Formen- und Farbenreichtum, ihren vielseitigen technischen Verfahren wie Färberei, Weberei, Stickerei sowie Materialien, die häufig kombiniert und bis zum Äußersten verfeinert worden sind. Hinzu kommt der außerordentliche Farbensinn der indischen Handwerker. Als Handelsware gelangen indische Stoffe bis in den Mittelmeerraum und nach Südostasien. Historische Quellen aus der Mogul-Zeit berichten unter anderem über kaiserliche Manufakturen, über die Kunstfertigkeit der Handwerker und das Verschenken von Ehrengewändern an verdienstvolle Würdenträger. Bis ins 19. Jahrhundert ist die Miniaturmalerei in allen Landesteilen ein beredter Zeuge der Schönheit und Vielfalt der Stoffe und Teppiche. Man erkennt auch in diesen Darstellungen die hauchfeinen Musseline aus Dacca, die Seiden- und Brokatwebereien höfischer Werkstätten, die Drucktechniken West- und Südindiens und die Sticktechniken aus den verschiedensten Landesteilen. Die aus feinster Pashmina-Wolle und mit farbigen Blütenmustern (den Blütenzypressen) hergestellten Kaschmir-Schals waren vor allem im 19. Jahrhundert in Europa sehr begehrt. Ihre Muster werden bis in die Gegenwart imitiert. Färbeverfahren wie die Ikat-Technik, bei der die Kett- und Schussfäden vor dem Weben mustergerecht eingefärbt werden, Batik und andere Reservetechniken erzeugten ebenfalls Stoffe mit feinteiligen Mustern. Die Teppichknüpferei erreichte mit Materialien wie feiner Wolle, Baumwolle und Seide die höchste überhaupt mögliche Knotendichte. Eine anfängliche Abhängigkeit von persischen Vorbildern wurde bald durch eigene Schöpfungen, die charakteristischen rotgrundigen Blütenteppiche, abgelöst. Selbst kleinste Fragemente dieser künstlerisch hochrangigen Erzeugnisse sind heute begehrte Sammelobjekte.Dr. Regina HickmannSivaramamurti, Calambur: Indien. Kunst und Kultur. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Oskar von Hinüber. Freiburg im Breisgau u. a. 41987.
Universal-Lexikon. 2012.